Das BLATT interviewt Hans Rudolf Graf

Dieses fiktive Interview fand im Foyer des Hotels Drei Könige in Basel statt und wurde von Frau Jenny Kliebenschädel, Inlandsreporterin der Tageszeitung BLATT, geführt.

 

BLATT: Herr Graf, ich bedanke mich zunächst dafür, dass Sie etwas von Ihrer sicherlich knapp bemessenen Zeit für ein kurzes Interview mit unserer Zeitung erübrigen konnten.

Graf: Es ist mir ein Vergnügen. Obwohl ich mich wundere, dass nicht jemand vom Feuilleton das Interview macht, sondern eine Sensationsreporterin von durchaus zweifelhaftem ...

BLATT: Lassen wir das. Wir sind schliesslich hier, um über Sie zu reden. Also: Weshalb haben Sie den Kriminalroman Kaffeeklatsch geschrieben?

Graf: Es machte mir Spass!

BLATT: Und jetzt meinen Sie, dass die Leser - falls sich denn solche finden sollten - auch Spass an Ihrem Buch haben werden?

Graf: Ich hoffe es natürlich, auch wenn man sich als unbekannter Autor keine Illusionen ...

BLATT: Sind Sie denn überhaupt qualifiziert zum Schreiben?

Graf: Mein Beruf besteht immerhin zu einem grossen Teil aus Schreiben. Ich verfasse zwar zumeist sehr trockene, wissenschaftlich-technische Berichte ...

BLATT: Wäre es dann nicht für alle besser gewesen, sie wären bei wissenschaftlichen Publikationen geblieben?

Graf: In dieser Richtung bin ich immer noch aktiv, wenn ich Sie bei dieser Gelegenheit vielleicht auf meine Publikationsliste aufmerksam machen dürfte...

BLATT: Nein, danke, kein Bedarf. Aber wieso ausgerechnet ein Kriminalroman? Sind sie ein verkappter Gewalttäter?

Graf: Viele meiner Freunde - übrigens auch meine Frau (lacht) - haben mich das tatsächlich gefragt, als sie von meinem Buchprojekt erfuhren. Natürlich nur im Scherz - obwohl, etwas Unsicherheit schwang bei gewissen Leuten durchaus mit. Aber nein, ich bin mit Sicherheit kein Gewalttäter. Im Gegenteil, das friedliche Zusammenleben der Menschen, der gegenseitige Respekt ist mir sehr wichtig ...

BLATT: Das ist doch nur eine Floskel, als Rechtfertigung, mit dem Schrecken Schindluder zu treiben.

Graf: Durchaus nicht. Ich bin sogar der Meinung, dass Krimiautoren sehr moralische Menschen sind, denen es darum geht, dass ein Verbrechen als solches empfunden wird und auch seine gerechte Strafe findet.

BLATT: Moral und Spass sind doch unvereinbare Gegensätze.

Graf: Ach wo. Der Kampf des Guten gegen das Böse ist ein ur-menschliches Element, welches in praktisch jedem von uns so tief verwurzelt ist, dass man damit auch sehr locker umgehen kann. Allerdings darf man dieses Prinzip schlussendlich nicht verraten. Gut muss gut und Böse böse bleiben. Die Nuancen von gut und böse sind dabei natürlich zahllos.

BLATT: Wenn Sie meinen ... Ein Schauspieler kommt in ihrem Buch sehr schlecht weg. Was haben Sie gegen diesen ehrenwerten Beruf?

Graf: Ich habe mich selbst einige Jahre als Laienschauspieler versucht und deshalb grösste Hochachtung für diesen Berufsstand. Ich wollte für Kaffeeklatsch einen Täter, der sich der speziellen Möglichkeiten des Schauspieler-Berufes für seine Verbrechen bedient.

BLATT: Demnach würden Sie als Geologe mit Ihrem Gesteinshammer morden?

Graf: Ein Geologe könnte sein Opfer zum Beispiel mittels eines gezielt ausgelöste Murganges beseitigen. Das wäre eine spezielle Art angewandter Geologie.

BLATT: Wer auch gar nicht gut wegkommt in Ihrem Buch sind die Frauen. Sie sind offenbar ein ziemlicher Chauvinist, um nicht zu sagen, Sexist.

Graf: Sie sprechen zweifellos die klischeehafte Darstellung der acht Freundinnen an. Da muss ich wieder auf meine eigene Schauspielerei hinweisen. Ich bezweifle, dass Ihnen die "Commedia dell'Arte" ein Begriff ist,...

BLATT: Zugegeben, ich ...

Graf: Na, bitte. Es handelt sich dabei um das klassische italienische Stegreiftheater. Ein wichtiges Element dieser Theaterform sind die Figuren, welche holzschnittartige Charakteren aufweisen. Sie sind auf einige wenige menschliche Grundeigenschaften fokussiert. Pantalone ist geizig und eigennützig, Dottore ist gebildet, eitel und schwatzhaft, Arlecchino ist verfressen, faul und immer hinter den Frauen her, Colombina ist ungebildet aber vernünftig und meist moralisch und so weiter. Ist das soweit klar?

BLATT: Ich verstehe Bahnhof.

Graf: Dachte ich mir. In meinem Krimi habe ich die Nebenfiguren auf wenige Eigenschaften - oder eben Klischees - reduziert, um ohne grosse Erklärungen mit Ihnen Situationen aufbauen und sich entwickeln lassen zu können. Das funktioniert deshalb, weil wir alle - ja, auch Sie, verehrte Frau Kliebenschädel - vordergründig in Klischees denken. Die Lesenden können so die Personen und die Dynamiken zwischen ihnen sofort verstehen.

BLATT: Wo bleibt denn da der Realismus?

Graf: Der liegt bei den Hauptfiguren, allen voran natürlich bei Georg Tanner, seiner persönlichen Geschichte, seiner Handlungsweise und seinen Ermittlungsmethoden. Würde ich alle Figuren als komplexe Charaktere darstellen und beschreiben, würde die Geschichte sehr schwerfällig.

BLATT: Ach was! Sie wollen es sich doch bloss möglichst einfach machen mit ihren Figuren und sich nicht vertieft mit ihnen auseinandersetzen. Dabei gehört das doch zum Elementarsten im Handwerk eines Autors.

Graf: Ich kenne meine Figuren und ihre Geschichte durchaus in- und auswendig. Aber ich will das den Lesern nicht auf die Nase binden und sie damit langweilen. Sie sollen aus der Handlung heraus merken, mit wem sie es zu tun haben.

BLATT: Sie erwähnten, Tanners Ermittlungsmethoden seien realistisch. Dabei arbeitet er mit einem magischen Tarot! Das ist nicht nur unrealistisch sondern geradezu esoterisch!

Graf: Lesen Sie Horoskope? Fürchten Sie den Freitag den 13.?

BLATT: Gelegentlich schaue ich ein Horoskop an, aber das ist natürlich alles Quatsch.

Graf: Genau! Man "weiss" zwar, das ist alles Quatsch, selbstverständlich können Karten die Zukunft nicht voraussagen ... aber dennoch, aber dennoch ... irgendwo ist eine kleine Unsicherheit da, ob nicht vielleicht doch ... In meiner Geschichte übernimmt Tanners Tarot diese Rolle. Es hat - objektiv gesehen - keinen grossen Einfluss auf die Handlung. Trotzdem bringt es schlussendlich Tanner mit Anne zusammen und nur deshalb gehen die beiden schliesslich ins Theater und ...

BLATT: Aber wir wollen doch nicht zu viel verraten, nicht wahr, hahaha ! Also etwas anderes. Sie kommen aus Schaffhausen. Weshalb spielt Ihr Krimi in Basel?

Graf: Das hat mehrere Gründe. Ursprünglich spielte Kaffeeklatsch in einer fiktiven Stadt, die ich ganz nach meinen Vorstellungen aufgebaut hatte. Mit der Zeit bin ich mir aber bewusst geworden, dass das nicht das Richtige ist. Ich habe dann überlegt, in welcher realen Stadt ich die Geschichte ansiedeln möchte. Erster Gedanke war - natürlich - Schaffhausen. Aber irgendwie hat das nicht gepasst; ich brauchte eine etwas grössere Stadt.

BLATT: Es gibt nichts in Kaffeeklatsch, das nicht in angepasster Form auch in Schaffhausen passieren könnte.

Graf: Ja, Kaffeeklatsch könnte in Schaffhausen spielen. Aber Georg Tanner hatte früher und hat auch jetzt noch andere Fälle zu lösen. Und für die Gesamtheit der Fälle brauche ich eine Stadt mit Universität, mit chemischer Industrie, mit grossen Hotels und so weiter. Dazu hat sich Basel angeboten.

BLATT: Wie Sie mit dieser Stadt dann aber umspringen, das muss einen Basler geradezu auf die Palme bringen! Sie verwandeln das renommierte Stadtcasino in ein Wellness-Center, ein Altersheim in ein Polizeiquartier, legen die gut organisierten Kripos von Basel Landschaft und Basel Stadt kurzerhand zusammen und ....

Graf: Das dürfen Sie nicht so eng sehen. Ich schätze Basel selbst nämlich sehr. Meine Frau hat drei Jahre in dieser Stadt gewohnt und wir haben immer noch diverse Bekannte und Kollegen in Basel, ich mag die Basler Fasnacht und ...

BLATT: Sie wollen sich doch bloss anbiedern, indem Sie erzählen, Sie würden die Basler Fasnacht mögen.

Graf: Meine Frau und ich gehen tatsächlich gerne dort hin, aber was gebe ich mir bei Ihnen überhaupt Mühe ... Na schön. Sehen Sie es doch mal anders: Das bestehende Stadtcasino soll in Bälde durch einen Neubau ersetzt werden. Ein sehr ambitioniertes Projekt mit kontroverser Architektur. Finanziert zu einem guten Teil aus Spenden. Solche Projekt haben immer ein gewisses Potenzial, zu scheitern. Das ist einfach so ein Gedanke von mir, dass die Basler auf ihr Stadtcasino Acht geben müssen, damit diese wichtige kulturelle Institution erhalten bleibt. Und die Idee mit der Kriminalpolizei beider Basel - die bekanntlich nicht existiert - naja, warum nicht? Aber ich halte es da ganz mit Friedrich Glauser, der einmal gesagt hat: "Man wird doch wohl noch Geschichten erzählen dürfen!"

BLATT: Papperlapapp! Sie massen es sich an, den Baslern vorzuschreiben, wie sie mit ihrer Stadt umzugehen haben!

Graf: Frau Kliebenschädel! Sie drehen mir konsequent das Wort im Mund herum. Ich beginne mich zu fragen, weshalb ich Ihnen für dieses Interview zugesagt habe. Langsam habe ich die Faxen satt ...

BLATT: Ach was! Sie waren doch wild darauf, dass Ihr Buch im BLATT besprochen wird, weil Sie sich davon Propaganda für Ihr Machwerk erhofft haben. Aber da haben Sie sich getäuscht ...

Graf: Sie sind doch von Anfang an mit einer destruktiven Einstellung an das Interview herangegangen, wahrscheinlich weil der Chefredakteur sie dazu verdonnert hat, was Sie als unter Ihrem Niveau anschauen ...

BLATT: Sie haben doch gar keine Ahnung, was Niveau überhaupt ist, was einem beim Lesen Ihres Buches schnell klar wird ...

Graf: So, jetzt reicht es (steht auf).

In diesem Moment wurde das Interview vom Chef der Rezeption des Hotels DREI KÖNIGE  unterbrochen, weil er die Gäste des Hauses durch das nunmehr sehr laut und engagiert geführte Gespräch belästigt wähnte. Hans Rudolf Graf benutzte die Gelegenheit zu einem hastigen Abgang.