Georg Tanner und die Commedia dell'arte

 

Wahrscheinlich ist es nicht für jeden Leser offensichtlich, was Kaffeeklatsch mit dem klassischen italienischen Stegreiftheater, eben der „Commedia dell'arte" zu tun haben soll, immerhin kommen in dieser Geschichte keine der typischen Figuren vor. Dennoch ist es so, dass meine Art der Annäherung an die einzelnen Personen und die verschiedenen Situationen in der Geschichte viel mit dieser Theaterform zu tun hat. Wie kommt denn das?

Wohl gegen 15 Jahre habe ich in einer Laientruppe gespielt, welche sich eben der Commedia dell'Arte verschrieben hatte. Die meisten der Stücke, die wir mit einem Minimum an Kulissen und Requisiten meist unter freiem Himmel aufführten, waren selbst geschrieben.

H.R. Graf und sein Frau Esther während einer Vorstellung am Amateurtheater-Fesival in Thun (CH). Graf in der Rolle des Capitano-Alejandro-de-sangre-y-fueve-caballero-de-llamas-y-temor-el-carnicero-sin-gracia-y-hermano-de-la-muerte-con-la-espada-sangrienta (...), der sich soeben seiner Verkleidung als Haushälterin Franceschina entledigt und seiner geliebten Isabella (hier in ihrer Verkleidung als Ottavio) als deren Angebeteter zu erkennen gegeben hat ... jah, die Geschichte war recht komplex - aber sehr lustig.

Die beiden wesentlichen Elemente der Commedia dell'arte sind die Figuren und der Handlungsablauf (Canovaccio). Die Figuren haben sich im Laufe der Zeit zu festen, archetypischen Charakteren entwickelt. Es handelt sich also nicht um realistische, komplexe, sondern um in ihrem Eigenschaftsspektrum stark reduzierte Personen. Diese sind deshalb auf der einen Seite in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden dadurch aber auf der anderen Seite sowohl für das Publikum wie für die Mitspieler berechenbar. Dies ist deshalb so wichtig, weil die Handlung des Stückes nur in groben Zügen vorgegeben ist, eben im Canovaccio. Es gibt keine vorgegebenen Dialoge, die Handlung ist im Allgemeinen nicht das Wichtige an einem Stück, sondern die Art und Weise, wie die Figuren miteinander umgehen, wie sie ihre Spässe treiben und mitunter ihre Kritik an der Gesellschaft üben.

Und das ist eben das Faszinierende an dieser Art Theater. Die klare Definition der Figuren ist es, die ein improvisiertes Zusammenspiel überhaupt ermöglicht: Nur wenn jeder Schauspieler verinnerlicht hat, wie seine Figur in einer gewissen Situation agieren kann und gleichzeitig auch weiss, in welcher Weise sie auf die anderen Figuren einwirken darf, damit diese wiederum ihrer Rolle entsprechend reagieren und weiter agieren können, funktioniert das Theater. Aus diesem Grund haben viele Commedia-Schauspieler oft jahrzehntelang eine einzige Figur gespielt, die sie dann aber bis zur absoluten Perfektion beherrschten.

Ist ja recht und gut, aber was hat das nun - verdammt noch mal - mit "Kaffeeklatsch" zu tun?

Viele der Nebenfiguren habe ich nach dem Grundsatz aufgebaut, dass sie wenige typische Eigenschaften haben sollten. Man spricht in diesem Zusammenhang auch gern von Klischees. Das klarste Beispiel dafür sind wohl die acht Frauen, die sich regelmässig zu Kaffee und Kuchen treffen. Jede hat ihre klar definierten, speziellen Eigenschaften, ihren eigenen sozialen Hintergrund usw. Wenn man diese acht Figuren zusammen in eine Raum setzt, ergeben sich automatisch Handlungen, Konflikte, Probleme, Lösungen und und und.

Meistens ist Georg Tanner, der in eine von reduzierten Charakteren definierte Situation gerät und sich dann darin behaupten muss. Manchmal gelingt es ihm, aber nicht immer.

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