Warten auf den Auftritt

 

Frei nach Samuel Becket

 

 

Die Personen:

 

A:      Asdeno

B:      Burdil

P:      Publikum

S1:     erster Schauspieler

S2:     zweiter Schauspieler

 

 

Szene 1

 

Ein Raum neben der „Bühne". Knappe Beleuchtung, etwas düster. Links hängt ein Theatervorhang. Es sind verschiedene Requisiten zu sehen, Aufzüge, Scheinwerfer etc., alles voller Spinnweben, lange nicht mehr gebraucht. Zwei einfache Stühle etwas links der Mitte, ein dritter Stuhl - ein Teil einer Theaterbestuhlung - in der Mitte der rechten Bühnenhälfte. Es kommen vor: A + B. Sie sind in normale Strassenkleider gekleidet, sehen ziemlich heruntergekommen aus, nicht sehr gesund, wirres Haar.

A sitzt auf dem einen Stuhl, den Kopf auf die rechte Hand gestützt, rechten Ellbogen auf rechtem Knie.

 

A:      Du kommst also auch wieder.

B:      (tritt auf, von rechts) Und du. (setzt sich auf den zweiten Stuhl)

A:      Muss wohl.

B:      Wer zwingt dich?

A:      Lass mich in Ruhe! (wendet sich ab)

 

Kleine Pause, beide stieren vor sich hin.

 

A:      (steht auf, freundlich) Lass dich umarmen.

B:      (steht auf) Ja, umarmen wir uns!

 

Sie umarmen sich, Küsschen rechts, Küsschen links.

 

A:      (zuversichtlich) Heute sind wir dran. Mit unserem Auftritt werden wir unsere Zukunft bauen. (steigert sich allmählich in eine Euphorie) Das Publikum wird begeistert sein, die Kritiker des Lobes voll, (B setzt sich) wir werden überschüttet mit Rollenangeboten, Theater, Film, Fernsehen, wir werden berühmt...

B:      (sachlich) Wir sind Statisten.

A:      (beschwörend) Wir sind die Stützen jeder Produktion.

B:      (resigniert) Schon lange hoffen wir.

 

Kleine Pause.

 

A:      Ich werfe einen Blick auf die Bühne. (schaut den Vorhang an)

B:      Wie weit sind sie?

A:      Noch nicht weit. Es ist noch Zeit.

B:      Wann sind wir dran?

A:      Es ist noch Zeit. (kleine Pause) Sind wir eingeplant?

B:      Ich weiss es nicht.

A:      (träumerisch) Weißt du noch damals, als wir unseren letzten Auftritt hatten?

B:      Ja.

A:      Es war vor... (stockt, denkt nach) ...langer Zeit.

B:      (aufgeschreckt) Vor langer Zeit? Ich dachte, es war gestern.

A:      (nachdenklich) Nein, nicht gestern.

B:      Weshalb?

A:      (genervt) Gestern kam unser Stichwort nicht.

 

Kleine Pause.

 

B:      Wie heisst unser Stichwort?

A:      Ich weiss es nicht.

 

Mürrisches Schweigen.

 

B:      Einen Strick sollte man haben.

A:      Wozu?

B:      Wir könnten uns aufhängen.

A:      (sieht B an als ob er ihm nie einen solch guten Gedanken zugetraut hätte) Stimmt.

B:      (blickt zur Decke) Meinst du dieser Balken könnte uns tragen?

A:      (blickt ebenfalls zur Decke) Er sieht nicht sehr stark aus.

 

Beide stieren an die Decke, kleine Pause.

 

A:      (plötzlich entschlossen) Lass uns gehen.

B:      (verdrossen) Wir können nicht gehen.

A:      (verblüfft) Wieso nicht?

B:      (wie Lehrer zum dummen Kind) Wir haben heute unseren Auftritt.

A:      (wie freches Kind) Er kommt nicht. Bä-bä-bäää.

B:      (steht auf, empört) Er kommt.

A:      (sachlich) Nein.

B:      (etwas wütend) Sicher kommt er.

A:      (steht auf, bestimmt) Nie!

 

Während des folgenden Wortgefechtes entfernen sich die beiden immer mehr voneinander. Bei jedem neuen Fluchwort zeigen sie jeweils auf den andern, wie wenn sie auf einander schiessen würden.

 

B:      (wütender) Du Dummkopf!

A:      (verblüfft) Du Blödmann!

B:      (noch wütender) Du Scheisskerl!

A:      (nun auch wütend) Du Idiot!

B:      (rasend, schreiend) Du Volltrottel!

A:      (ebenso) Du Schwachkopf!

B:      (sucht nach dem Wort für den „Gnadenschuss") Du...du...du...Kritiker!

 

A wie von einem Schuss getroffen, stürzt zu Boden, windet sich, stöhnt, erholt sich nur langsam, rappelt sich dann etwas hoch. B beruhigt sich, befriedigt über seinen Treffer und setzt sich auf seinen Stuhl.

 

B:      (nachdenklich) Einen Strick sollte man haben.

A:      Letzte Nacht habe ich geträumt.

B:      Ich träume nie.

A:      Ich habe von uns geträumt. Wir sassen hier und warteten auf unseren Aufritt.

B:      Du hast gar nicht geträumt.

A:      Wir warteten auf unser Stichwort. Da traten zwei Personen von der Bühne her ein. Der eine führte den anderen an einem Strick um den Hals und stellte sich vor:

 

 

 

 

Szene 2

 

Es wird hell auf der Bühne. Auftritt P und S. P führt S1 an einem locker um den Hals gelegten Strick und hält noch einen zweiten Strick in der Hand, dessen anderes Ende noch auf der „Bühne" ist.

 

A:      „Ich bin das Publikum".

P:      Ich bin das Publikum. (zu S1) Komm schon! (setzt sich auf den dritten Stuhl)

 

A und B stellen sich hinter ihre Stühle.

 

B:      (zu P) Wer ist der da?

P:      Du kennst ihn nicht? Das ist der Schauspieler.

 

B tritt zu S.

 

P:      Vorsicht, er beisst. (B weicht erschrocken zurück)

A:      Warum nimmt er den Strick nicht vom Hals?

P:      Fragen sie ihn!

A:      (zu S1) Warum nehmen sie den Strick nicht vom Hals?

S1:     (will etwas sagen)

P:      Halt's Maul!

A:      (zu P, überrascht) Lassen sie ihn doch reden. (zu S1) Warum nehmen sie den Strick nicht vom Hals?

S1:     (gibt ein Monolog-Bruchstück aus „Hamlet")

P:      (hängt an seinen Lippen) Bravo (klatscht)

 

Während des folgenden Gesprächs zwischen A und B beklatscht P weiterhin S1 und versucht dann ein Autogramm von ihm zu bekommen.

 

A:      (betrachtet S) Er ist gross.

B:      Lass ihn in Ruhe.

A:      (anerkennend) Er ist schön.

B:      (verächtlich) Er geifert.

A:      (bewundernd) Er hat eine intelligente Stirn.

B:      (eifersüchtig) Er hat blöde Augen.

A:      (erschrocken) Er bekommt keine Luft!

B:      (überheblich) Er ist wohl ein - Kretin.

A:      Warum nimmt er den Strick nicht vom Hals?

P:      (hat sein Autogramm bekommen, zu A) Es wäre sein Ende.

A:      Sein Ende?

P:      Sein Ende.

A:      Aber er wäre doch frei.

P:      Er braucht mich. Ich füttere ihn.

A:      Ist er ein Sklave?

P:      Ich bin sein Herr. Er macht was ich will.

B:      (auffordernd) Lassen sie uns etwas sehen.

P:      Ihnen wird er nichts zeigen.

B:      (beleidigt) Sind wir ihm etwa zu wenig?

P:      (erklärend) Sie sind kein Publikum.

B:      Dann soll er doch ihnen etwas vorspielen.

P:      Er kann auch singen.

B:      (erwartungsvoll) Schön.

P:      Er kann auch tanzen oder zaubern.

A:      (erwartungsvoll) Schön.

P:      Ich habe noch mehr. (zieht am zweiten Strick, S2 taumelt von der Bühne her herein) Sie tun was ich will.

A+B: (bewundernd) Oooh.

P:      (selbstgefällig) Was ich will!

A+B: Aaah.

P:      (zu S1 und S2) Fangt an!

 

S1 und S2 beginnen ein ernstes klassisches Stück zu spielen.

 

P:      Nein, lieber etwas lustiges.

(S1 und S2 stellen sofort um und spielen etwas in der Art der Commedia dell'Arte. Während des Spiels legen sie ihre Stricke ab. P gefällt es er wird immer begeisterter, hängt an ihren Lippen, sinkt auf die Knie.

 

P:      (ausser sich vor Bewunderung) Ihr seid die Grössten. Ihr seid Götter.

 

S1 und S2 hören auf zu spielen, sie verbeugen sich zu P. A und B applaudieren etwas zurückhaltend.

 

P:      (flehend) Aber spielt doch weiter, bitte. Meine Herren!

 

S1 und S2 legen sich die Stricke wieder um den Hals. P ringt die Hände, rutscht auf den Knien.

 

P:      So spielt doch weiter! (stöhnt, kann sich langsam wieder fassen) (zu A und B, erschöpft) Ich kann nicht ohne sie sein. Sie füttern mich, ich bin ihr Sklave. (strafft sich) Aber auch ihr Herr. (nimmt die Stricke wieder in die Hand).

A:      Sie haben die Stricke in der Hand.

P:      (zu S1 und S2) Kommt schon!

B:      Sie gehen?

P:      Wir gehören zusammen (zieht S1 und S2 mit sich, sie gehen zur Bühne ab)

 

 

Szene 3

 

Das Licht wird wieder wie am Anfang.

 

A:      (zu B) Und dann gingen sie (kleine Pause) Es war ein schöner Traum (setzt sich auf seinen Stuhl).

B:      (setzt sich ebenfalls wieder auf seinen Stuhl) Ja, ein schöner Traum.

 

Kleine Pause.

 

B:      (plötzlich entschlossen) Lass uns gehen.

A:      (verdrossen) Wir können nicht gehen.

B:      (verblüfft) Warum nicht?

A:      (erklärend) Wir haben heute unseren Auftritt.

B:      Das dachten wir gestern auch.

A:      (hat keine Ahnung) Was war gestern?

B:      (genervt) Unser Stichwort kam nicht.

 

Kleine Pause.

 

B:      Einen Strick sollte man haben.

A:      Wozu?

B:      Wir könnten ihn uns um den Hals legen.

A:      (erleuchtet) Das wäre ein Abgang!

B:      (schwärmerisch) So einen gibt's nur einmal.

A:      (ernüchtert) Wir sind aber zwei!

B:      (ertappt) Lass und von was anderem reden.

A:      Grad wollt ich's vorschlagen.

 

Ratloses Schweigen.

 

A:      (steht auf, blickt auf den Vorhang) Das Stück ist zu Ende. Unser Stichwort ist nicht gekommen. (setzt sich wieder) Wir können gehen.

B:      Meinst du?

A:      Ich bin sicher, Gehen wir

B:      Ja. Gehen wir.

 

Sie gehen nicht, Licht aus.