Dienstag

3          Zu früh gefreut

Georg Tanner genoss das Knarren des alten Buchenfussbodens, wenn er ihn früh am Morgen als erster betreten konnte. Auf dem Weg zu seinem Büro liess er sich gerne vom fast körperlichen Geräusch des sich entspannenden, uralten Holzes begleiten. Er vermeinte förmlich den Geist der Jahrhunderte zu spüren, der aus dem Parkett filterte. Wer wohl alles schon über diese Dielen geschritten war - Kaufleute, Adlige, Geistliche, gewöhnliche Bürger - damals, als das Gebäude noch jung war? Viel später, als das einst herrschaftliche Barockhaus zum Altersheim „Marthastift" geworden war, waren es wohl die Pantoffeln und Schlappen von Pensionären und die Birkenstockschuhe des Pflegepersonals gewesen. Jetzt liessen Beamtenfüsse den Boden erknarren - und hin und wieder ein Gesetzesbrecher. Tanner fragte sich insgeheim, was dem Boden wohl am liebsten war ...

Er öffnete schwungvoll die Tür zu seinem geräumigen Büro, dessen hoch über den Fischmarkt hinaus schauende Fenster bereits erstes Tageslicht in den Raum liessen. Endlich Frühling! Sobald die Uhren auf Sommerzeit umgestellt wurden, begann für ihn das eigentliche Leben wieder. Der Winter war überstanden.

Er ging zu seinem schmucklosen hellgrauen Metallschreibtisch und pfiff eine uralte Melodie: My Baby just cares for me - eines seiner Lieblingsstücke. Seine Freundin Anne und er hatten gestern Abend wieder einmal Nina Simone aufgelegt - es war ein sehr schöner Abend geworden ...

Sein Büro enthielt ausser einem abgewetzten weissen Schreibtisch und dem dazu gehörenden speckigen Bürostuhl, ein paar hellgraue Sicherheitsschränke und einen riesigen alten Eichentisch. Darum herum war ein halbes Dutzend Holzstühle Stühle gruppiert, Mit Anlauf rollte er auf seinem Bürostuhl an den Schreibtisch und machte sich an die Arbeit. Endlich hatte er Zeit, sich um seine Akten zu kümmern. Schon erstaunlich, wie leicht es einem fallen konnte, einen Bericht zu schreiben, wenn der übliche Druck einmal weg war. Es machte fast schon Spass. Die letzten Wochen hatten er und seine Leute von der Sektion Leben der Kriminalpolizei beider Basel alle Hände voll zu tun gehabt. Auch wenn es sich nur bei wenigen ihrer Fälle um Verbrechen handelte, hatten sie doch bei allen Arten von aussergewöhnlichen Todesfällen routinemässig kriminalpolizeiliche Abklärungen vorzunehmen. Am letzten Freitag hatten sie den letzten hängigen Fall abschliessen können. Ein Aufatmen war durch ihn und seine Leute gegangen. Endlich war wieder Zeit für Kaffeepausen und entspannte Gespräche zwischen Tür und Angel. Der einzige Wermutstropfen war, dass ihm sein Chef wieder einmal einen Absolventen des Kripolehrganges zugeteilt hatte. „Unterstützung" nannte er das immer. Der Absolvent war weiblich. Anette Beckmann war einssechzig gross, breitschultrig, Brillenträgerin und sehr eifrig.

Gestern Montag hatte es eine Weile so ausgesehen, als ob der Stress gleich wieder losgehen würde. Dann hatte sich aber erwiesen, dass das Drama in der Strassenbahn Nummer 8 kein Fall für Mord und Totschlag sondern für die Gesundheitsbehörden war. Das liess ihm seit Langem das erste Mal wieder Zeit für ein ausgiebiges Mittagessen. Er hatte sich mit Anne im Cafelatte verabredet und freute sich wie ein Schuljunge darauf.

Zwei Stunden arbeitet er mit Lust am sonst so verhassten Papierkram, bis der Schreibtisch praktisch leer war. Fast wie bestellt ging die Tür auf und Annegreth Weber kam mit einer dampfende Tasse Kaffee und einer Zeitung herein. Frau Weber war offiziell die Sekretärin von Mord und Totschlag. Von ihr aber als Sekretärin zu reden, traf den Kern bei Weitem nicht. Sie war eine Künstlerin, wenn es um elektronische Nachforschungen im ging. Ihre konservative Kleidung und die anspruchlose halblange Frisur täuschten darüber hinweg, dass sie in Sachen Cyberspace immer auf dem neuesten Stand war.

„Na, heute schon in Nordkorea gewesen?" Er schaute sie ironisch an, denn sie nutzte jede freie Minute im Büro für Abstecher ins WorldWideWeb. Was in anderen Büros oder Firmen sicher nicht gern gesehen wäre, tolerierte er noch so gern. Frau Webers Kenntnisse der EDV hatten schon oft wichtige Erkenntnisse in Verbrechensfällen gebracht.

„Zur Zeit befinde ich mich gerade im Pentagon!" Sie grinste ihn an und legte die Zeitung vor ihn auf den Schreibtisch - es war die neueste Ausgabe der BLATTES. Die Tasse Kaffee stellte sie auf die Schreibtischplatte. „Ich chatte mit dem Chef des Geheimdienstes. Eigentlich sollte seine Antwort auf meine letzte Frage jetzt da sein. Ich gehe sofort und schaue nach." Sie grinste und schon war sie wieder weg.

„Und danke für den Kaffee", rief er hinter ihr her. Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und öffnete die Zeitung. Auf der Titelseite fand er den von Jenny Kliebenschädel geschriebenen Leitartikel. Natürlich von der Kliebenschädel! Was hatte er schon Probleme mit dieser Sensationsreporterin gehabt - seinen Job hätte er ihretwegen schon fast verloren. Aber was soll's, heute war seine Laune so gut, dass ihm sogar dieser Artikel nichts würde anhaben können. Er überflog die einleitenden Zeilen und las dann genauer.

 

... während die Fahrgäste der Strassenbahn Nummer 8 weiterhin in Quarantäne verbleiben müssen. Das kantonale Gesundheitsamt konnte noch keine Angaben zur Todesursache der Biologin machen. Der Verdacht auf eine akute Viruserkrankung könne aber vorerst nicht ausgeräumt werden. Zusätzlich erneuerte das Gesundheitsamt den Aufruf an diejenige Fahrgäste der Todesbahn, welche sich nach dem Ereignis vom Ort entfernt hatten. Kontakte zu Mitmenschen sollen so weit wie möglich unterlassen werden und sie sollen sich umgehend in die im Kantonsspital eingerichtete Quarantänestation begeben.

 

Tanner war froh, dass Mord und Totschlag - wie sie ihre Sektion selbst insgeheim nannten -  nichts mit diesem Todesfall zu tun hatte. Und er war auch froh, dass bisher keiner auf die Idee gekommen war, dass eigentlich auch die zum Ort gerufenen Polizisten unter Quarantäne zu stellen wären. Sie hätten sich schliesslich in der Bahn angesteckt haben können. Er hat auch nicht die Absicht, jemanden auf dieses Versäumnis hinzuweisen. Wenngleich ein paar Tage Ruhe im Spital natürlich auch nicht zu verachten wären ...

 

Man kann es als Glücksfall bezeichnen, dass die ortsansässigen Schmidhousy-Werke über ein zwar stillgelegtes aber immer noch voll funktionstüchtiges so genanntes „Stufe 4-Sicherheitslabor" verfügen. Es wurde den Behörden von der Firma sofort für die Untersuchung der Toten zur Verfügung gestellt. Diese auf den ersten Blick zielgerichteten Massnahmen können allerdings nicht über die Hilflosigkeit der Behörden im Umgang mit der so plötzlich in unserer Stadt aufgetauchten tödlichen Bedrohung hinwegtäuschen. Bei genauerem hinschauen wird es schonungslos klar, dass in unserem Kanton niemand auf den Fall eines aggressiven, die ganze Bevölkerung bedrohenden Virus vorbereitet ist. Ein geradezu kolossales Versäumnis, angesichts der tatsächlichen Existenz solch verheerender Krankheiten wie dem Ebola-Fieber ...

 

Als sein Telefon klingelte, hob Tanner unwillkürlich die buschigen Augenbrauen. Ein Anruf bedeutete oft einen neuen Fall. Und das passte ihm jetzt gar nicht, denn es brachte sein Mittagessen mit Anne in Gefahr. Den Apparat einfach läuten lassen, nicht abheben? Er könnte doch gerade auf Toilette sein ... Doch sein Pflichtbewusstsein siegte. Am Apparat war Dr. Bernstein, der Rechtsmediziner.

„Ich wette, du hast dich schon gefreut, dass du mit der Toten aus der Strassenbahn nichts zu tun hast", quäkte es an Tanners Ohr. Man konnte die Schadenfreude förmlich aus dem Hörer triefen hören.

„Was offenbar ein Irrtum war ...". So ein Mist, dachte er.

„Komm doch mal bei Schmidhousy vorbei. Weisst du, wo ihr Sicherheitslabor liegt?"

„Nein, keine Ahnung."

„Ist ziemlich abgelegen. Frag am Empfang, die führen dich hin."

„Wieso bist du eigentlich dort? Ich dachte, da wären jetzt die Virensucher am Werk."

„Du kennst mich. Ich gebe meine Leichen nicht gern aus der Hand bevor die Todesursache geklärt ist. War richtig mein Entschluss. Also mach dich auf die Socken."

„Wenn der Rechtsmediziner ruft, lässt der Polizist natürlich sofort alles fallen und rennt los. Ich hole noch die Neue, dann komme ich."

„Die Neue?"

„Wirst schon sehen."

 

„Eingerichtet wurde das Sicherheitslabor für die Entwicklung von Impfstoffen gegen einige sehr aggressive Viren, welche grosse Schäden bei Nutztieren anrichteten." Dies erklärte Frau Hofmann, welche Tanner und Anette Beckmann am Empfang der Schmidhousy-Werke abgeholt hatte und nun zum Labor führte. „Nachdem die Medikamente dann fertig entwickelt und auf dem Markt waren, wurde das Labor stillgelegt. Das war vor fünf Jahren."

„Aber funktioniert denn alles noch so, dass keine Risiko besteht?" wollte die Assistentin wissen.

„Die wichtigsten Einrichtungen - jene, die für die Verhinderung einer Virenfreisetzung entscheidend sind - wurden natürlich sorgfältig getestet, bevor das Labor für diesen Fall freigegeben wurde. Da ist alles in Ordnung. Bei einigen Kleinigkeiten mögen Pannen auftreten, aber die Sicherheit ist damit auf keinen Fall in Frage gestellt."

Seit zehn Minuten führte die adrett gekleidete, gross gewachsene Frau Hofmann sie schon über das weitläufige Werkareal. Dabei hatten sie verschiedene Gebäude durchquert, überall waren elektronisch verriegelte Sicherheitstüren mittels Schlüssel oder Daumenscanner zu überwinden. Endlich erreichten sie das Gebäude des Hochsicherheitslabors. Sie wurden in einen Raum voller Kommunikationseinrichtungen und farbig flimmernden Computerbildschirmen geführt. Drei Personen sassen vor den Bildschirmen und überwachten permanent zahllose Grafiken, Skalen und Anzeigen. Ein fast zwei Meter breiter, an der Wand befestigter Flachbildschirm bildete das Zentrum des Überwachungsraumes. Darauf wurden Bilder aus dem Hochsicherheitsbereich des Labors wiedergegeben. Tanner und seine Assistentin nahmen auf zwei davor stehenden Sesseln Platz.

„Selbstverständlich ist kein direkter Einblick in das Labor möglich. Das Risiko, dass eine Fensterdichtung undicht sein könnte, ist viel zu gross", erklärte Frau Hofmann. „Alle Datenübertragungen, also auch die Bilder, die sie auf dem Grossbildschirm sehen, erfolgen drahtlos." Dann zeigte sie ihnen, wie die Gegensprechanlage funktionierte, und wo sie sitzen mussten damit die Kamera sie erfassen und ihre Bilder ins Labor senden konnte.

Drinnen im Sicherheitsbereich sah Tanner drei Personen, die von Kopf bis Fuss in weissen Kunststoffschutzanzügen steckten und Schutzmasken mit Atemschläuchen trugen. Die Schläuche endeten an Atemgeräten auf dem Rücken. Zwei von ihnen sassen mit geschlossenen Masken an Labortischen im Hintergrund und hantierten an komplizierten Geräten. Vor der Kamera stand ein Mann, der die schwere Schutzmaske so weit es ging auf die Stirn geschoben hatte. Dadurch wurden seine Augenbrauen derart hinuntergedrückt, dass er nur aus Schlitzen sehen konnte. Mit Mühe konnte Tanner den Rechtsmediziner Bernstein erkennen. Hinter ihm lag eine zugedeckte Leiche auf einer Sezierwanne. Als der Mann Tanner und seine Begleiterin erblickte, trat er näher zur Kamera und drückte die Sprechtaste der Gegensprechanlage.

„Das ist die Neue?", fragte er Tanner, nickte in Anettes Richtung und liess die Sprechtaste los. Tanner drückte den Knopf auf der Aussenseite.

„Anette Beckmann. Sie verstärkt ab heute unser Team." Zur Assistentin gewandt erklärte er: „Das ist Doktor Bernstein, der für Rechtsfälle zuständige Mediziner. Wir nennen ihn auch den Leichenmagier". Es war ihm wichtig, dass die junge Frau sich der grossen Bedeutung der medizinischen Beurteilung von Todesfällen bewusst war und die entsprechende Achtung vor der Arbeit der Rechtsmediziner hatte.

Die Beckmann nickte dem Mediziner lächelnd zu. Derweil schaute Tanner sich den Arzt an und wunderte sich über dessen legere Art, die Schutzkleidung zu tragen.

„Eine Tröpfcheninfektion beim Niesen ist vom Opfer zwar kaum mehr zu erwarten, aber lässt du es nicht doch etwas unvorsichtig angehen - bei einem Virusopfer?" fragte er.

Der Mediziner antwortete etwas, Tanner hörte jedoch nichts. Als ihn der Mediziner mit Gesten auf etwas aufmerksam machen wollte, merkte er, dass er immer noch die Sprechtaste gedrückt hielt. Schnell liess er sie los.

„Es hat nie Ansteckungsgefahr bestanden", sagte Dr. Bernstein dann. „Sie wurde vergiftet. Eindeutige Symptome."

Das hatte Tanner nicht erwartet. Er ärgerte sich, dass auch er auf den offensichtlich voreiligen Schluss der Presse hereingefallen war, die sich auf einen Virus als Todesursache festgelegt hatte. Ihm sollte so etwas eigentlich nicht passieren, sondern er sollte die reine Sicht der Fakten vertreten. Plötzlich sah alles anders aus. Mord und Totschlag hatte einen neuen Fall. Sofort begannen seine Gedanken zu rotieren.

"Offenbar ein sehr schnell wirkendes Gift, nach den Berichten über die Vorfälle in der Strassenbahn zu schliessen", meinte Tanner. Er bemerkte, dass er die Sprechtaste nicht gedrückte hatte, holte dies nach und fragte nochmals.

"Curare", kam die Antwort mit einem Knistern aus dem Lautsprecher.

"Curare?" echote Tanner.

"Curare", bekräftigte der Arzt, der den Namen de Giftes offenbar von Tanners Lippen gelesen hatte. „Wir wissen aber noch nicht, welche Art dieses Giftes. Darüber werden die Laboranalysen genauer Auskunft geben." Es knisterte wieder, als er die Sprechtaste losliess.

Da drängte sich die Assistentin etwas vor und drückte ihrerseits die Taste.

"Dann war der Täter eine Frau", sagte sie.

"Wieso?" fragte Tanner überrascht. Den Lippenbewegungen nach stellte Dr. Bernstein zugleich dieselbe Frage.

"Frauen morden bevorzugt mit Gift", erläuterte Anette mit Überzeugung.

Gerade hatte Tanner den Ärger über seinen vorschnellen Schluss zur Todesursache überwunden, kam seine Assistentin auch mit einem solchen daher. War das ein grundsätzliches Problem in seiner Sektion? Hatten sie den Blick für die Realität verloren? Das durfte auf keinen Fall so weiter gehen. Er musste dies der Neuen schnell und deutlich klar machen.

„Ach, lernt man so etwas heutzutage in den Kriminalistiklehrgängen?" fragte er sie betont hämisch. Das machte sie sichtlich unsicher.

"Nicht unbedingt ..." gab sie zu, „aber ich lese halt auch sonst viel über Kriminalfälle ..."

"Sie meinen wohl Kriminalliteratur. Jerry Cotton, Philip Maloney und so weiter?" Tanner unterbrach vehement, so dass sie unwillkürlich die Sprechtaste losliess. Höhnisch fuhr er fort: "In derartigen Werken mag es gang und gäbe sein, dass Menschen vergiftet werden - und dann von mir aus von Frauen. Aber Sie sollten eigentlich wissen, dass Giftmorde in Tat und Wahrheit äusserst selten sind. Und dass in diesen raren Fällen dann bevorzugt eine Frau die Täterin sein soll, ist statistisch in keiner Weise belegt. Na, lassen wir das jetzt." Er sah, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg und dachte, dass er später mit ihr noch einmal in Ruhe würde darüber reden müssen. Zum Arzt gewandt fragte er:

"Wie wurde ihr das Gift verabreicht?"

Der bedeutete ihm durch zeigen auf die Sprechtaste, dass er nichts hören konnte. Er drückte die Taste und wiederholte seine Frage.

"Keine Ahnung", antwortete Dr. Bernstein durch ein Knistergewitter.

"Wie bitte?" Das konnte er kaum glauben, denn der Rechtsmediziner Bernstein hatte bei solch grundlegenden Fragen noch kaum je keine Antwort gewusst. Offenbar spürte dieser, dass er dazu mehr hören wollte.

"Curare wirkt nur, wenn ..... chcchzzzz ... Blutkreislauf gelangt", erklärte der Mediziner, durch ein kräftiges Knistern unterbrochen. „Klassischer Weise als Pfsschhchz .... Es wirkt nicht, wenn es eingeatmet odchzzzchchzz ... wird." Das Knistern wurde immer stärker. „...Zzzchhzhchch ... keine Einstichstelle ... chcchzzzz ... keine Ahnung." Er liess die Taste los und unterstrich seine Ratlosigkeit durch ein grosses Schulterheben.

Tanner schaute die immer noch da stehende Frau Hofmann an. „Die Gegensprechanlage gehört wohl zu den Kleinigkeiten, die noch nicht ganz funktionieren, wie?" Sie hob die Schultern entschuldigend und liess ihn ein unverbindliches Lächeln sehen.

Er wollte noch nicht glauben, dass Bernstein keine Lösung für das Vergiftungsproblem hatte. "Du machst Spass", fragte er hoffnungsvoll. Doch als der Arzt ernst seinen Kopf schüttelte, musste er es schliesslich wohl oder übel akzeptieren.

"Und nun?" wollte er wissen.

Dr. Bernstein drückte die Taste auf seiner Seite, worauf ein lautes Knistern und Pfeifen aus dem Lautsprecher drang. Tanner verzog das Gesicht schmerzlich und hielt sich die Ohren zu. Er bedeutete dem Mediziner, die Taste loszulassen.

Dieser gehorchte. Sein anschliessendes Gestikulieren deutete er so, dass Bernstein jetzt Feierabend mache und nun seine eigene Arbeit beginne.

Er atmete ein und versuchte, sich innerlich mit der neuen Aufgabe abzufinden. Er nickte kurz vor sich hin und wandte sich dann an seine neue Assistentin.

„Alles klar? Dann ab ins Stift."

Er verabschiedete sich von Dr. Bernstein und forderte die Frau Hofmann auf, sie hinaus zu führen.

„Wieso, nennt man unser Präsidium eigentlich Stift?" fragte ihn die Beckmann auf dem Weg.

„Sie kennen diese Geschichte noch nicht?" Das fand er ungewöhnlich, eigentlich sollte man meinen, dass sie jeder in der Basler Polizei sie schon oft gehört hatte.

„Ich liebe Geschichten", sagte sie mit einem auffordernden Blick, während sich die beiden von der Schmidhousy-Angestellten durch das Gebäudelabyrinth zum Ausgang lotsen liessen.

„Vor allem Kriminalgeschichten mit Frauen, die mittels Gift morden", stichelte er. „Na gut. Als vor knapp vierzehn Jahren die Kriminalabteilungen der Polizeibehörden beider Basler Halbkantone aus organisatorischen und finanziellen Überlegungen zusammengelegt wurden, brauchte man dafür Räumlichkeiten. In unserem Haus, das übrigens eines der ältesten gotischen Häuser Basels ist, befand sich bis damals ein Alters- und Pflegeheim. Es wurde als Marthastift bezeichnet. Die städtischen Altersheime waren kurz vor dieser Zeit alle privatisiert worden. Es fanden sich relativ schnell private Trägerschaften, die die Heime übernahmen. Die meisten sind heute noch aktiv und arbeiten sehr seriös. Es gab allerdings zwei oder drei, welche auf schnellen Profit aus waren und die Rechnung dann aber nicht mit den Krankenkassen und den Angehörigen, die zahlen mussten, gerechnet hatten. Die Trägerschaft des Marthastifts war die erste, welche zahlungsunfähig wurde und aufgab."

„Alles klar." Anette Beckmann nickt verstehend. „Die demente Kripo wurde ins Altersheim eingewiesen, und das Haus wird heute als Stift bezeichnet. Ja, sehr lustig."

„Heute denkt kaum mehr einer an diese alte Geschichte, die übrigens stark vom Neid unserer Kollegen geprägt ist, die heute noch im Storchenhof logieren müssen und nicht in unseren prachtvollen, antiken Büros residieren dürfen."

„Mit knarrenden Fussböden und zugigen Fenstern", ergänzte die Assistentin.

„Sie haben Atmosphäre. Man atmet die Jahrhunderte."

„Und bei Nordwind riecht man den mittelalterlichen Schimmel hinter den Täferwänden."

„Wie auch immer, ich rufe jetzt Frau Weber an. Sie soll unsere Kollegen zu einer Teamsitzung ins Stift rufen ..."