Squash mit dem Bruder

 

Diener wollte seinen Chef noch auf ein abschliessendes Bier in einer nahe gelegenen Bar einladen, doch dieser zog es vor, den Rest des Tages zu Hause zu verbringen. Dort angekommen sah er die Lampe des Anrufbeantworters blinken. Sein Bruder hatte angerufen. Monatelang liess er nichts von sich hören aber heute wollte er eine Partie Squash spielen gehen. Tanner erinnerte sich schmerzlich an die Verfolgungsjagd vom Vortag und die damit verbundenen Albträume. Etwas Training und eine kleine Ablenkung würde ihm sicher gut tun. Er rief seinen Bruder an und sagte zu.

Die Squashhalle lag im selben ehemaligen Industriequartier wie die Wohnung des ermordeten Fussballers, nur wenige Strassen davon entfernt. Dieser Fall begann ihn zu verfolgen. Sein Bruder wartete bereits umgezogen an der Bar in der Squashhalle und hatte ein isotonisches Getränk vor sich stehen. Wie immer sah er topfit, gutgelaunt und ledig aus - und war das alles auch. Obwohl zwei Jahre älter, wirkte der Bruder deutlich jünger als der Polizist. Seine Arbeit als Liegenschaftsverwalter griff die Nerven und den Teint offensichtlich weniger an als ein Job bei der Polizei. Sie begrüssten sich herzlich und der Ermittler zog seine Sportkleidung an. Mit leichtem Ärger musste er feststellen, dass die blaue Tennishose ihm auch schon mehr Bewegungsfreiheit gelassen hatte. Es war immer spannend, gegen seinen Bruder Squash zu spielen. Während Tanner ein guter Techniker war, der sehr präzise und überraschende Bälle zu spielen vermochte, war sein Bruder flink und beweglich und vermochte viele Bälle noch zu erlaufen, die Tanner bereits als gewonnen abbuchen wollte. Meist waren die Matches hart umkämpft und gingen mit knappem Resultat Mal an den einen, Mal an den andern Tanner.

Sie spielten drei Sätze, die der Ermittler alle sang- und klanglos verlor.

„Mein Lieber, Du bist nicht bei der Sache", fasste der Bruder das Spiel zusammen, als sie verschwitzt an der Bar ein grosses Glas Mineralwasser tranken. „Was ist los?"

„Die Arbeit, Du weißt schon", wich der Ermittler aus.

„Es geht um den Fussballer, stimmt's?"

Der Ermittler nickte.

„Ihr arbeitet wie die Pferde aber habt immer noch nichts in der Hand", vermutete sein Bruder.

„Sei bloss still. Die Wände haben Ohren." Mit einem Rundblick durch die Bar überprüfte der Ermittler, ob ihnen jemand zuhörte. In gedämpftem Tonfall fuhr er fort. „Wahrscheinlich kommt gleich die Kliebenschädel um die Ecke gebogen und sieht zum zweiten Mal am gleichen Tag, wie ich mich unbeschwert vergnüge anstatt verbissen dem Mörder des Fussballers hinterher zuspüren."

„Wer ist die Kliebenschädel?"

„Du weisst schon, diese Schmierenreporterin vom BLATT mit den reisserischen Enthüllungsartikeln. Die hat sich auf die Fahne geschrieben, allen zu beweisen, dass die Polizei nichts taugt und will den Mörder des Fussballers selbst überführen. Dauernd läuft sie uns über den Weg und spricht mit den gleichen Leuten."

„Du kommst also nicht nur im Fall nicht vom Fleck, sondern es steht auch noch in dicken Lettern in der Zeitung. Ja, das ist ärgerlich."

„Heute habe ich sie im Stadion angetroffen und es gab eine unschöne Szene. Sie hat mir geraten, morgen die Zeitung zu lesen. Sie wetzt die Klingen gegen uns. Leider hat unser Chef uns ausdrücklich aufgefordert, mit der Presse pfleglich umzugehen" Den Tonfall seines Chefs nachahmend zitierte er: „Georg, wir könne uns keine schlechte Presse leisten." Wieder mit seiner normalen Stimme fuhr er fort. „Der morgige Artikel wird ihm nicht gefallen. Er wird mir wieder mit seiner dauernden Angst vor Etatkürzungen in den Ohren liegen und endlich Resultate verlangen. Ausserdem haben wir gestern zusätzlich einen zweiten Fall bekommen, der mindestens ebenso rätselhaft wie der des Fussballers ist. Mein bester Fahrer besucht dieses Wochenende einen Kurs, sonst hätten wir den Täter wohl erwischt. Und mein neuer Assistent beschädigt den Dienstwagen. Nur auf meine hackende Sekretärin und Herrn Diener kann ich mich verlassen."

„Diener, das ist doch der mit dem umwerfenden Humor?"

„Wenn man ihn über zehn Jahre lang geniessen darf, wirft er einen nicht mehr um."

„Ich sehe schon. Du wartest auf den Gott Zufall, der Dir einen wichtigen Fingerzeig zur Lösung schickt."

„Herr Tanner! Im Film mag der Gott Zufall zwar regelmässig eine Statistenrolle spielen, im wirklichen Leben gibt es ihn nicht. Da gibt es nur Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit. Und das braucht Zeit, Zeit und nochmals Zeit - und die will mir keiner geben."

„Kaum erweist sich ein Fall Mal als schwieriger, versinkst Du also schon im Selbstmitleid und hast das Gefühl, die ganze Welt sei gegen Dich. Die Umstände sind zwar schwierig, aber da musst Du jetzt einfach durch."

„Mit meinem üblichen Job komme ich schon zurecht, aber dass mir diese aggressive Zeitungstussi in Quere kommt, und alle dass sie von allen auch noch ernst genommen wird, das passt mir überhaupt nicht."

„Früher wäre das für dich kein Problem gewesen...", deutete der Bruder mit einem lauernden Blick über sein Wasserglas an.

„Jaja, ich weiss, was du meinst. Als Laura noch lebte, sei alles ganz anders gewesen."

„Jedermann hat sehr gut verstanden, dass Du nach ihrem Tod einen schweren Einbruch hattest. Aber das ist zwölf Jahre her. Langsam solltest Du Deinen Weg im Leben wieder finden. Oder willst Du weiterhin als verbissener Ganovenjäger in der Welt umgehen."

„Ich weiss, ich habe meine Unbeschwertheit und Leichtigkeit verloren. Lauras Tod hat mir die Augen geöffnet. Heute sehe ich wie verdorben und zynisch die Welt ist, wie jeder nur auf seinen Vorteil bedacht ist. Skrupellos werden Hindernisse aus dem Weg geräumt. Wenn Du wüsstest, was in der Drogenszene alles läuft, da gehen Dir die Augen für die wirklich Welt schnell auf."

„Du solltest aufpassen, dass du nicht zu einem alten Griesgram wirst.

„Alter Griesgram, also hör Mal...",wollte der Ermittler aufbegehren, wurde aber vom Bruder unterbrochen.

„Jaja! Schau Dich wieder einmal richtig im Spiegel an, wie Du buchstäblich griesgrämig aus der Wäsche guckst. Und so wie Du heute gespielt hast, wirst Du auch alt." Der Ermittler wollte etwas einwenden, doch sein Bruder liess ihn nicht zu Wort kommen." Mein Lieber Georg, was Du brauchst ist eine Frau."

Stumm schaute der Ermittler seinen Bruder eine Weile an, Schliesslich nickte er.

„Ja, ich gestehe, ich brauche ich eine Frau. Aber die laufen nicht einfach so herum."

„Natürlich laufen die einfach herum. Schau Dich doch nur Mal in dieser Bar um. In der Ecke dort hinten sitzen vier Frauen, von denen mindestens zwei auf so einen tollen Hecht wie Dich nur warten. Aber vielleicht muss der magische Kriminalzauberer, der jeden Fall wie im Traum löst, zuerst von seinem hohen Ross heruntersteigen. Georg, entspann Dich, öffne Dich." Langsam breitete sich ein fröhlichen Grinsen im Gesicht des Bruders aus. „Weisst Du was? Nimm doch die Kliebenschädel!"

Der Ermittler ergriff sein Squashracket, packte seinen Bruder am Kragen und ging in gespielter Wut auf ihn los. „Dir werde ich helfen, Dich derart über mich lustig zu machen."